Die Neue (alte) Weltordnung – Teil 5

Quelle:

19. Mai 2023

Interview, geführt von dem Journalisten Pedro Pinto mit Yuval Noah Harari in Lissabon – Teil 1

Pedro Pinto:
Hallo und willkommen zu einer ganz besonderen Ausgabe von „Es ist nicht so einfach-Spezial“, denn es ist die erste Sendung, die jemals hier in Lissabon vor einem Live-Publikum aufgenommen wird. Und sie ist auch deshalb etwas Besonderes, weil wir uns über unseren Gast freuen, den gefeierten Autor und Historiker Yuval_Noah_Harari.

Es wird fantastisch sein, mit ihm seine Sicht auf die Menschheit zu diskutieren, was unser Tagesthema ist. Natürlich ist er weltweit für eine Vielzahl von Arbeiten über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschheit bekannt. Und wir werden versuchen zu erklären, warum das nicht so einfach ist.

Yuval, willkommen in Portugal.

Yuval Noah Harari:
Danke.

Pedro Pinto:
Die Prämisse dieser Show besteht darin zu versuchen, komplizierte Themen aufzuschlüsseln. Das heutige Thema ist – meiner Meinung nach – besonders kompliziert, um es hier auf dieser Bühne zu behandeln. Es wäre schön, wenn du versuchen würdest, ein Bild der Menschheit im Jahr 2023 zu zeichnen und uns zu sagen, was du da siehst und warum es vielleicht schwierig ist, in dieser Zeit einen Ausblick auf die Zukunft zu geben.

Yuval Noah Harari:
Nun, wir kennen – beinahe wie Götter – unsere Schöpfer- und Zerstörungskräfte. Jetzt haben wir die Macht, neue Lebensformen zu erschaffen, aber auch, einen Großteil des Lebens auf der Erde zu zerstören, einschließlich uns selbst.

Wir stehen gerade vor zwei wirklich großen Herausforderungen: Einerseits besteht das Risiko eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs, andererseits existiert die Gefahr einer technologischen Störung.

Wir schaffen gerade extrem mächtige Werkzeuge, wie Künstliche Intelligenz, die die menschliche Zivilisation untergraben könnten. Und vielleicht das Schlimmste ist, dass anstatt, dass wir uns vereinen, um uns diesen gemeinsamen Herausforderungen für unsere Spezies zu stellen, spalten wir uns und bekämpfen uns gegenseitig immer mehr. Da gibt es Spannungen auf internationaler Ebene, und es gibt Spannungen innerhalb von Gesellschaften. Eine Gesellschaft nach der anderen steht wirklich am Rande des Zusammenbruchs.

Vielleicht weißt du, dass die wichtigsten Fragen, die man im Zusammenhang mit den Menschen und mit der Menschheit stellen kann, lauten:

  • Wenn wir so klug sind, warum machen wir dann so viele dumme Dinge?
  • Warum wird unsere Spezies homo sapiens (weise Mensch) genannt, wenn wir doch in so viele selbstzerstörerische Aktivitäten verwickelt sind?

Wir scheinen nicht dazu in der Lage zu sein, uns selbst zu stoppen. Ich denke, dass dies das Paradoxon der klugen, weisen Menschen ist.

Pedro Pinto:
Das ist ein guter Ausgangspunkt, wo wir ansetzen können.

Weißt du, als ich dich vorstellte, habe ich mich natürlich ziemlich kurz gefasst, weil ich das Beste aus den 40 Minuten machen will, die ich mit dir habe. Ich könnte hier sehr wohl all deine Auszeichnungen, Bücher und Errungenschaften auflisten.

Doch wir wollen uns jetzt lieber auf unser Thema fokussieren. Natürlich habe ich von deinen vielen Interviews und Vorträgen gehört. Und da gibt es etwas, das wir im Moment im Jahr 2023 nicht umgehen können und das ist der Fortschritt der Technologie.

Weißt du, als ich aufwuchs – und wir sind beide mehr oder weniger im selben Alter. Ich bin 48 Jahre alt – kann ich mich noch an das Pong-Spiel erinnern, bei dem es grundsätzlich darum ging, dass zwei weiße Rechtecke hin- und hergingen und der Ball vom Bildschirm abprallte.

Und es ist verrückt zu sehen, wo wir jetzt technologisch angekommen sind. Weißt du, ich habe eine 2 1/2-jährige Tochter. Und ich denke, dass die Grenze der neuen Künstlichen Intelligenz unglaublich gefährlich ist. Ich frage mich ernsthaft, wie ihre Generation einmal sein wird, wie sie lernen und wie sie irgendetwas für sich selbst tun kann.

Erzähl uns etwas mit deinen Worten über Künstliche Intelligenz, über die Chancen und über die Herausforderungen, die du in diesem Zusammenhang siehst.

Yuval Noah Harari:
Wir müssen drei Dinge über Künstliche Intelligenz wissen:

1.
Die Künstliche Intelligenz ist noch ein kleines Baby. Wir haben noch nicht wirklich etwas davon gesehen, wie Künstliche Intelligenz in die reale Welt eingesetzt wird, nicht in irgendeinem Labor oder bei irgendetwas, was auf zukünftige Entwicklungen hinweist. Die Künstliche Intelligenz ist ungefähr 10 Jahre alt.

Wenn du dir da draußen dieses wundervolle Landschaft mit all diesen Pflanzen und Bäumen anschaust und solltest du daran denken, dass die biologische Evolution – die Evolution des Lebens auf der Erde – etwa 4 Milliarden Jahre gebraucht hat, um diese Pflanzen und uns Menschen hervorzubringen.

Die Künstliche Intelligenz befindet sich jetzt im Stadium sagen wir von Amöben von vor 4 Milliarden Jahren, in denen aus der Bio-Suppe die ersten Organismen hervorkrochen.

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