Vorboten der Trübsalzeit – Teil 34

Quelle – 20. April 2020

Geoffrey Grider – Teil 2

Video:

16. April 2020

Roula Khalaf, Redakteurin im Pariser Büro der „Financial Times“ führt im Elysée-Palast ein Interview mit Emmanuel Macron

Roula Khalaf:
Denken Sie nicht, dass der Multilateralismus (die Zusammenarbeit mehrerer Staaten bei der Lösung von politischen, gesellschaftlichen oder technischen Problemen, die grenzübergreifend sind) und die Globalisierung bei dieser (Corona-)Krise vernachlässigt wurden?

Emmanuel Macron:
Ich bin da nicht so skeptisch. Ich denke, diese Krise ist eine Gelegenheit für den Multilateralismus, weil der Multilateralismus eine Änderung der Globalisierung gebrauchen könnte, die vielleicht gerade jetzt geschieht.

Wenn ich mir das anschaue, wo wir die letzten Jahre gemeinsam hindurchgehen, sehe ich eine sehr große Krise, zunächst einmal wegen dem Terrorismus. Dadurch gab es Bedrohungen auf der ganzen Welt, von denen jeder Kontinent betroffen wurde.

Dann gab es einen Wandel im Migrations-Muster. Das war sehr beunruhigend. Darüber hinaus trat ein ganz neues Phänomen auf, das zumindest in seiner stärksten Ausdrucksform ein klimatisches Phänomen ist. Wir haben das technologische Phänomen, und wir haben das gesundheitliche Phänomen. Vor 10 Jahren hatten wir eine beispiellose Wirtschaftskrise erfahren, bevor die jetzige eingetreten ist.

All das zeigt auf, dass wir immer sehr voneinander abhängig sind. Einfach gesagt: Die Krise, die wir gerade durchleben und das, was sie der Wirtschaftskrise so ähnlich macht, ist, dass sie das menschliche Element hervorhebt. Niemand stellte sich jemals die Frage, ob es nötig sei, die Wirtschaft stillzulegen, um Leben zu retten. Und keiner hätte gedacht, dass uns das möglich wäre. Das ist ein sehr tief gehender anthropologischer Schock. Und die Hälfte des Planeten ist zum Stillstand gekommen, um Leben zu retten. Das ist beispiellos in der Menschheitsgeschichte.

Deshalb weiß ich nicht, wie ich umreißen soll, was die Konsequenz davon sein werden. Es ist ganz klar, dass das Ganze anthropologisch ist. Aber es wird das Wesen der Globalisierung verändern. Es wird dabei einen Wandel geben.

Mit großem Erfolg wurde vor 30 Jahren mit dem Fall der Berliner Mauer der Totalitarismus ausgemerzt. Und im größeren oder kleineren Umfang hat die Globalisierung Hunderte Millionen Menschen aus der Armut herausgebracht. Doch ganz besonders in den letzten Jahren hat sie in Entwicklungsländern zu einer Steigerung der Ungleichheit geführt.

Und bei dieser Globalisierung hatten wir das Gefühl, dass das Ende des Zyklus erreicht wäre. Ich habe sehr oft gesagt, dass durch die Ungleichheit in unseren Ländern die Demokratie geschwächt wird. Das war die Folge dieser Globalisierung. Grundsätzlich waren da der Verbraucher und der Geldgeber die starken Elemente.

Ich glaube, dass der Schock, den wir gerade nach vielen anderen erfahren, uns dazu zwingen wird, die Globalisierung neu zu betrachten. Sie wird uns zwingen, die Bedingungen der Souveränität neu zu überdenken. Wir haben gesehen, dass wir über gewisse Dinge die Kontrolle behalten müssen, von denen wir manchmal dachten, dass sie keinen Wert hätten. Wir dachten, dass in der Globalisierung vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen ein Mundschutz und ein Operationskittel keinen Wert hätten. Aber diese Dinge sind von Wert, wenn es darum geht, medizinisches Personal zu schützen. In dieser (Corona-)Krise haben wir das entdeckt. Der Geldwert eines Mundschutzes beträgt 40 Cents, wenn er überhaupt so viel wert ist. Aber er ist von enormem Wert, wenn er nicht mehr zur Verfügung steht und keine produziert werden können.

Deswegen müssen wir uns neu auf den menschlichen Aspekt konzentrieren. Es wird klar, dass die Wirtschaft nicht mehr länger den Vorrang hat, wenn es um unsere Menschheit geht, um Frauen und Männer und auch um Wirtschaftssysteme, in denen wir leben.

Deshalb sind der Ausstoß von CO2 die globale Erwärmung, die Artenvielfalt wichtiger als die wirtschaftliche Ordnung. Und gleichzeitig realisieren wir gerade, wie abhängig wir voneinander sind. Das zeigt uns diese (Corona-)Krise ebenfalls auf. Und ich denke, dass sie uns dazu zwingt, die Grammatik des Multilateralismus zu überprüfen. Der Multilateralismus wurde bedroht, weil er tatsächlich der Hegemonie untersteht oder zumindest den Mächten, die das Spiel nicht mehr länger mitmachen wollten, weil sie nicht mehr sehen konnten, worauf es ankommt.

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