Wie Gott in Seinen Kindern wirkt – Teil 11

Kapitel 20
Das Temperament im christlichen Leben

Ein bekannter amerikanischer Prediger stellte einmal die neue Theorie auf, dass die verschiedenen Denominationen mit ihren unterschiedlichen lehrmäßigen Betonungen einem nützliche Zweck dienen würden, nämlich als Versammlungsort für Personen mit ähnlichem Temperament. Christen, so meinte er, würden dazu tendieren, von Menschen angezogen zu werden, die geistlich ähnlich gesinnt sind. Von daher würde es Denominationen geben.

Zweifellos ist das eine Vereinfachung, die bis zum Punkt des Irrtums betrieben wird. Denn es gibt zu viele Personen unähnlichen Temperaments in jeder Denomination, um solch eine radikale Klassifizierung vorzunehmen. Doch wir haben es hier mit einem Fall zu tun, bei dem ein Irrtum dazu dient, um eine Wahrheit aufzuzeigen. Diese Wahrheit besteht darin, dass das Temperament viel mit unseren religiösen Ansichten und mit der Betonung zu tun hat, die wir im Allgemeinen auf geistliche Dinge legen.

Es dürfte etwas schwierig sein, hier zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Doch ich habe festgestellt, dass der historische Calvinismus unter den Menschen aufblühte, die eher von phlegmatischem Gemüt waren. Während es stimmt, dass Jacob Arminius Holländer war, war das gesamte holländische Volk offensichtlich vom Temperament her dem Calvinismus zugeneigt. Andererseits kann man sich nur schwer einen spanischen oder italienischen Anhänger des Calvinismus vorstellen. Natürlich gibt es isolierte Beispiele, aber für den größten Teil der lebhaften, unbeständigen, Mandoline spielenden Südländer wird es keine langen Zeiten des Nachsinnens über die göttliche Souveränität und der ewigen Erlasse geben.

Während wir alle stolz darauf sind, dass wir unsere Glaubensüberzeugungen aus der Bibel haben, werden wir uns unbewusst den Menschen zuwenden, die unserem Temperament entsprechen, auch wenn sie sich an Grenzlinien bewegen, mit denen wahre Christen nicht einverstanden sein können. Die Gesinnung kann leicht unsere Sichtweisen bestimmen, wenn es in der Bibel unklare Stellen gibt.

Die Menschen können grob in zwei psychologische Typen klassifiziert werden:

  1. Der heitere Typ
  2. Der traurige Typ

Und es ist leicht zu erkennen, welcher Typ von lehrmäßigen Sichtweisen angezogen wird, weil diese dann wesenhaft meistens der eigenen Gesinnung entsprechen. Der Calvinist, zum Beispiel, gestattet sich selbst niemals allzu glücklich zu sein, während der Arminianer dazu tendiert, die Schwermut mit Herzenskälte gleichzusetzen, und er versucht, das mit einer Erneuerung des Geistes zu heilen.

Kein Calvinist hätte so herrliche Loblieder wie Bernhard von Clairvaux oder Charles Wesley schreiben können. Aus dem Calvinismus ist auch niemals ein christlicher Mystiker hervorgegangen, mit Ausnahme von John Newton, der beinahe ein Mystiker war und einige Loblieder geschrieben hat, die fast so schön waren wie jene von Bernhard von Clairvaux.

Wenn wir die Aufzeichnungen näher untersuchen, können wir sagen, dass auch wenn der Calvinist nicht darauf aus war, sich einen großen Namen zu machen, war er für gewöhnlich länger bei seinem Glauben geblieben als andere Christen. Er legte mehr Betonung auf die Heilige Schrift, die sich niemals ändert, während Andere, wie in Zeitungen nachzulesen ist, dazu tendierten, ihren geistlichen Zustand nach der Gefühlslage zu beurteilen, die sich allerdings ständig änderte. Das mag der Grund dafür sein, dass so viele calvinistische Kirchen Jahrhunderte lang orthodox blieben, zumindest was die Lehre anbelangt, während die Überzeugung vieler Arminianer-Kirchen oft in einer einzigen Generation liberal wurde.

Mir ist klar, dass ich hier eine starke Vereinfachung vornehme; doch ich glaube, dass mehr als ein Funke Wahrheit an der ganzen Sache dran ist. Jedenfalls bin ich weniger über die Auswirkungen des Temperaments der historischen Kirche besorgt, an der ich nichts ändern kann, als über die Auswirkung meiner eigenen Seele und die Seelen meiner Leser, die ich möglicherweise etwas beeinflussen kann.

Ob jetzt meine weitgehenderen Schlussfolgerungen vernünftig sind oder nicht; es scheint keinen Grund zu geben, daran zu zweifeln, dass wir von Natur aus dazu tendieren, die Heilige Schrift in dem Licht (oder Schatten) unseres eigenen Temperaments auszulegen und unsere geistige Gesinnung den Grad der Wichtigkeit bestimmen zu lassen, wie wir uns an verschiedene religiöse Lehren und Praktiken binden.

Die seltsame Sache mit der menschlichen Eigenart ist, dass sie am meisten gedeiht, wo die größte religiöse Freiheit herrscht. Die autoritären Kirchen, die ihren Anhängern genau erzählen, was sie glauben und worauf sie ihre Betonung legen sollen, produzieren einen reellen Grad an Einheitlichkeit bei ihren Mitgliedern. Wenn man jeden auf das Bett des Prokrustes legen würde, würden alle es schaffen, ihr individuelles Temperament nach Belieben auszudehnen oder zurückzunehmen. Der Protestant, der noch die Freiheit besitzt, sich eine gewisse private Auslegung der Bibel zu erlauben, läuft Gefahr, in die Falle seines eigenen Temperaments zu tappen. Die Entblößung dieses Temperaments ist ein Preis, den er für seine Freiheit bezahlen muss.

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